© Karin Rocholl
Schnee Weiß
variabel
Weiß ist die Farbe der Unschuld, und Schnee verdeckt alle Spuren – nicht so jedoch bei Elfriede Jelinek. In Schnee Weiß, einer Fortschreibung ihres legendären Ein Sportstück, leuchtet sie unerbittlich das Verborgene aus. Anlass hierfür waren die Enthüllungen der Rennläuferin Nicola Werdenigg über sexuellen Missbrauch im österreichischen Skisport, die bald wieder auf eisiges Schweigen stießen. Denn Sport ist unsere moderne Religion, deren Götter allmächtig und deren Anhänger zahlreich sind. Konsequent verwebt Jelinek daher die ans Licht gekommenen Fälle mit Oskar Panizzas Skandalstück Das Liebeskonzil zu einem finster-blasphemischen Satyrspiel. Antike wie christliche Frauenbilder werden neu befragt und Jahrhunderte des Machtmissbrauchs durchquert, in denen die Opfer- und Täterrollen meistens klar verteilt sind, schon allein da Frauen der Status als Subjekt rigoros verweigert wird: «Die Frau wird als Mann zweitrangig gesehen, weil sie keiner ist.«
Wie stets bei Jelinek ereignet sich Tagespolitik im Sprach- und Denk-Zusammenhang einer lang währenden Geschichte – bis sich im Schnee Schuldspuren zeigen, die blutrot sind.
«Ein Abend über kollektive Amnesie, Hierarchie und Machtmissbrauch … 90 Seiten Reflexion und Assoziation über das Skifahren als Nationalheiligtum Österreichs, über Moral und Doppelmoral, über Rollenbilder und Gewalt. 90 Seiten, die es in sich haben … Verleugnen, Kleinreden und Schuldumkehr, diese reflexhaften Reaktionen aus Skiverband und Gesellschaft spitzt Jelinek in ihrem Text schmerzhaft zu … Schnee Weiß ist nicht als feministisches Fanal geschrieben, nicht als Kampfansage – eher ist es eine resignative Bestandsaufnahme, auch was den Glauben an die Wirkmacht des eigenen Schreibens angeht.« (Nachtkritik)
«Jelinek überblendet Katholizismus, Skiverband, Sport, Gewalt, Tourismus usw. Immer gespiegelt in theoretischen oder mythologischen Rastern … Eine polyphone Suada, die das weitgehende Dulden von (sexueller) Gewalt als krasses kulturelles Defizit kenntlich macht.« (Der Standard)
«Eine Rutschbahn ins Theaterglück.« (Süddeutsche Zeitung)
«So eine rasante Abfahrt in Schlangenlinien kann eigentlich nur einer Autorin unfallfrei gelingen: Elfriede Jelinek … In Schnee Weiß weitet sie die alpinen MeToo-Enthüllungen zur radikalen Generalkritik am autoritätsverliebten Land der Berge, ja, am Christentum selbst, mit seiner allmächtigen Vaterfigur.« (Kölner Stadt-Anzeiger)
«Schnee Weiß ist nicht nur ein typischer, sondern auch ein starker Jelinek-Text. Er soll viel nachgespielt werden.« (Die deutsche Bühne)
Uraufführung
21.12.2018 Schauspiel Köln (Regie: Stefan Bachmann)
Weitere Erstaufführungen
Österreichische Erstaufführung: 21.01.2023 Tiroler Landestheater Innsbruck (Regie: Joachim Goller)
Stück-Abdruck in Theater heute 12/2018
Die Aufführungsrechte für Amateur- und Schultheater stehen leider nicht zur Verfügung