
© Julie Matthées
Kind aus Seide
Hörspiel NeuBirgt der Zustand der technologischen Entfremdung eine Erlösung für die gepeinigte Menschenseele? Das Hörspiel „Kind aus Seide“ über die Beziehung der Eisverkäuferin Judith führt immer wieder an den Punkt, an dem humane Ethik versagt, und ein Ausweg in Technologien gesucht wird.
Althergebrachtes Menschenleid, wie Diskriminierungen und Hierarchien erfahren in dieser, zwischen Utopie und Dystopie angesiedelten Welt transhumanen Trost und Ausweg. Selbst für die anscheinend menschlichste aller Fähigkeiten - der Liebesbefähigung sind Maschinen besser gerüstet als wir, ihre fehlerhaften Erschaffer*innen. Die „kreativen Einheiten“ – nicht zu verwechseln mit ordinären AI - kennen und errechnen den richtigen, weil schmerzfreien Zeitpunkt für eine Beziehungstrennung.
In der CPU der „Milchmädchen“ – AI findet sich überraschenderweise auch die Befähigung zur gerechtfertigten Enthaltung. Ein in der Vergangenheit hart erkämpftes Gut und wirksames Mittel gegen soziale, sexuelle und ethnische Diskriminierung. Maschinen mit Fähigkeit zum Dissens.
Gründliches formales niemals didaktisches Handwerk trifft in dem Hörspiel von Leonie Ziem auf Sprache und rhythmische Strukturen, ohne poetische Schlieren oder „Glitches“ zu hinterlassen. „Kind aus Seide“ ist eine hochkomplexe Matrix aus Gender, Sexualität und Technologie. Der Autorin gelingt es in ihrem Stück diskursiv zu sein, ohne ins Akademische abzudriften. In dem Stück kommt eine Welt zum Vorschein, die fremd und nah zu gleich ist, deren Ebenen und Figuren körper- und raumlos sind, nach denen wir verlangen, die wir kennen und deshalb wohl ablehnen (müssen). Sie lässt offen, ob die Menschheit Erlösung oder Unheil in ihren prometheischen Erfindungen vorfindet.
SWR 2025