Karl Marx statt Chemnitz

Karl Marx statt Chemnitz

Hörspiel

Ludwigshafen, Kristiansand und Karlovy Vary sind es, die Mozartkugel und die Schillerlocke sind es auch. Auch Washington, D.C. und sogar die Kantstraße in Limbach-Oberfrohna sind nach historischen Persönlichkeiten benannt, nach Herrschern, Künstlern und Denkern. Wobei der Bezug zwischen Namensträger und Namensgeber durchaus lose sein kann - so lose wie 1953, als die Regierenden der DDR beschlossen, Chemnitz den Namen eines Philosophen aus Trier zu verpassen, dessen Wirkstätten Köln, Paris und London gewesen waren. Die Arbeiterklasse hatte sich geehrt zu fühlen; die Chemnitzer waren empört. Satte zwei Drittel von ihnen votierten in einer Bürgerbefragung 1990 für die Rückbenennung in Chemnitz. Karl- Marx-Stadt war Geschichte, zum Vergessen freigegeben wie Marx und seine Ideen. Doch mit dem neuen Jahrtausend erfuhr der Radikalökonom eine Renaissance, die zu seinem 200. Geburtstag 2018 auf einen weltweiten Höhepunkt zusteuert. Soll man die damit verbundenen Werbe- und Synergieeffekte wirklich verpuffen lassen? Ist es vernünftig, von Marx’ Namen nicht zu profitieren? In Zeiten, da Aufmerksamkeit die neue Währung ist, härter als Dollar und Bitcoin. Sollen die politischen Aufgeregtheiten der Wende- und Nachwendezeit wirklich noch heute, im 21. Jahrhundert, den wirtschaftlichen Aufschwung einer Stadt sabotieren, die im Aufmerksamkeitsdefizit zwischen Leipzig und Dresden darbt? Kann man ruhigen Gewissens zusehen, wie chinesisches Kapital nach Trier strömt, womöglich noch nach Маркс und Энгельс an den Ufern der Wolga! Es ist, nüchtern und ökonomisch betrachtet, Zeit für neue Wege in Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung. Auf dass es am Zusammenfluss von Zwönitz und Würschnitz bald heißt: Jawohl, dieser Philosoph hat unsere Welt nicht nur interpretiert, er hat sie verändert.
(Ankündigungstext Mitteldeutscher Rundfunk)

30.04.2018 Mitteldeutscher Rundfunk, MDR Kultur (Regie: Stefan Kanis)

Hörspiel des Monats April 2018