«Der Weg zurück» von Dennis Kelly – Österreichische Erstaufführung

Am 24.09.2022 war die Österreichische Erstaufführung von «Der Weg zurück» von Dennis Kelly am Schauspielhaus Graz (Regie: András Dömötör).

Szenenfoto "Der Weg zurück" Schauspielhaus Graz
© Lex Karelly

Warum können wir nicht nichts wissen?

Die Österreichische Erstaufführung von Der Weg zurück am Schauspielhaus Graz ist bereits die achte Inszenierung von Dennis Kellys düsterem Zukunftsszenario. Entstanden als Auftragswerk für das Berliner Ensemble, dort uraufgeführt am 27.11.2021 in der Regie von David Bösch, folgten Inszenierungen am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken (Regie: Christoph Mehler), dem Staatsschauspiel Dresden (Regie: Lovis Fricke), dem Theater Freiburg (Regie: Hanna Müller), dem Deutschen Theater Göttingen (Regie: Antje Thoms) und dem Schauspiel Köln (Regie: Moritz Sostmann). In der Spielzeit 2022/23 sind weitere Produktionen an der Landesbühne Niedersachsen Nord, Wilhelmshaven, (Regie: Robert Teufel) und dem Theater Regensburg (Regie: N.N.) geplant. 

«Eine radikale Öko-Diktatur. Die Kommunikation wird als erstes beschnitten: Einsilbig reden und denken ist angesagt. Klappt natürlich nicht. Die Ur-Ur-Enkelin wird zwar alle Gebote der Bewegung einhalten, aber in einer flammenden Rede aus einsilbigen Wörtern (Kompliment an den Übersetzer John Birke!) wird sie sich fasziniert zeigen vom Blick aufs kleine Tier auf der Haut des größeren, betrachtet durch ein ‹Vergrößerungsglas› – ein unsägliches Wort mit fünf Silben! Das Leben geht eben nicht weiter, ohne dass forschend etwas weiter geht ... (András Dömötörs) Botschaft ist die, dass wohl keine Ideologie in Reinform als Gemeinrezept für eine rundum perfekte Welt taugt. Entsprechend ironisch gezeichnet kommen uns die Figuren hier entgegen. Selbstironie ist in Dennis Kellys Text ja durchaus auf der Haben-Seite zu verbuchen – eine Eigenschaft, die Weltverbesserern in jede Richtung gemeinhin abgeht.» (Nachtkritik)

«(Es) öffnen sich die Höllentore des Rückschritts über mindestens vier Generationen und hundert Jahre, bis alle wieder auf dem Stand von einsilbig stammelnden, ländlichen Siedlern angekommen sind … Wer dabei Parallelen in die Gegenwart ziehen möchte, wird nicht daran gehindert. Corona-Leugner? Verschwörungsmythen? Gendersprachregelungen? Biologisch einwandfreier Zurück-zur-Natur-Eifer? Baumhaus-Proteste? Der Spekulation sind keine Grenzen gesetzt, allerdings auf eigene Gefahr.» (Theater heute)

Dennis Kelly packt sein Publikum genau an jener Denk-Faulheit, die durch vorschnelles Mitplappern in den sozialen Medien zumindest befördert wird. ‹Der Weg zurück› ist einer, auf dem sich die Protagonisten in einem fort selbst Beine stellen. Sie stolpern ihren so hehren wie problematischen Zielen mehr entgegen, als dass sie sie zielgerichtet anstrebten.

Nachtkritik

Der Weg zurück

Universitäten werden gestürmt, Labore, Biotech-Firmen und TV-Studios in Brand gesetzt, Wirtschaftsbosse und andere Eliten entführt und ermordet. Flächendeckend entlädt sich die Wut der Bürger auf die alten Institutionen. Denn Fortschritt, Technologie und Wissenschaft haben die Menschheit an den Rand des Abgrunds geführt, politische und soziale Ungleichheit verstärkt und die Umwelt zerstört. Eine neue Bewegung ist entstanden und erhält breiten Zulauf: die Regression. Sie richtet sich gegen die Ausbeutung der Erdböden, gegen Gen-Manipulation, den Einsatz von Antibiotika oder Handy-Strahlung und erklärt Nichtwissen zum Segen. Auch Sprache soll wieder einfach und verständlich werden, und dass für die Rückbesinnung auf das Wesentliche Opfer gebracht werden müssen, ist leider unvermeidlich.

Satirisch zugespitzt und gleichzeitig beklemmend real trifft Dennis Kellys Dystopie mitten ins Herz unserer verwirrend komplexen Gegenwart. Rationalität mischt sich mit Esoterik, berechtigter Protest mit Propaganda, Widerstand geht in Totalitarismus über – zumindest dann, wenn Ambivalenzen in einem simplen Gut-Böse-Schema verabschiedet werden. Der Weg zurück ist angewandte, hoch theatralische Dialektik im Spannungsfeld der Frage, ob der Mensch ein natürliches oder ein kulturelles Wesen ist und vor allem, wie er mit seinen Entdeckungen und Erfindungen praktisch umgeht.

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